Das Geheimnis der blauen Blätter – Irideszenz und Strukturfarben bei Pflanzen
1. Wie? Was? Blaue Pflanzen?
Es muss irgendwann im Herbst 2014 gewesen sein, als ich zum ersten Mal ein Bild einer Begonia pavonina, der „Pfauenbegonie“ gesehen habe. Es war in einem Angebot auf eBay für diese Pflanze und, laut Beschreibung, sollte sie „in der Nacht leuchten“.
Wer öfters mal nach Pflanzen auf eBay sucht kennt sicherlich die zahlreichen betrügerischen Angebote mit lachhaft schlecht bearbeiteten Bildern auf denen allerlei regenbogenfarbene oder blaue Pflanzen zu sehen sind. Diese Begonie sah für mich damals genauso gefälscht aus, und dann sollte diese Pflanze auch noch als Nachtlicht dienen? Wer’s glaubt wird selig. Also ignoriert und weiter gescrollt…
…und keine fünf Minuten später war ich wieder da. Irgendwie sah das hier nicht nach Fake aus. Gibt es wirklich Pflanzen mit blauen Blättern? Leuchten sie wirklich?
Und genau so fing meine Faszination mit blau irisierenden Pflanzen an.
Inzwischen habe ich eine kleine aber stetig wachsende Sammlung von ca. 30 Pflanzenarten mit der einen oder anderen Form blauer Irideszenz (dazu später mehr), und eine größere und noch viel schneller wachsende Wunschliste weiterer Exemplare.
Ich weiß inzwischen auch, dass diese Pflanzen natürlich nicht nachts leuchten, und dass es sehr schwer ist auf Bildern zu vermitteln, wie dieser einzigartige Effekt „in Echt“ wirklich aussieht.
In diesem Blogartikel möchte ich einige Expemplare aus dieser sehr diverse Gruppe von Pflanzen vorstellen, die Hintergründe und mögliche Funktion ihrer metallischen Erscheinung erklären (oder es zumindest versuchen) und den aktuellen Stand der Forschung zu diesem Phänomen vermitteln.
2. Sind diese Pflanzen denn jetzt wirklich blau?
Zuerst einmal sollten wir klären, wie dieser Effekt denn in der Realität nun wirklich aussieht:
Was ist bearbeitet?
Was sehe ich wirklich, wenn ich davorstehe?
Und warum sehen die Bilder oft so gefälscht aus?
Zur ersten Frage, „Was ist bearbeitet?“ ist die Antwort sehr einfach: Eigentlich alles.
Selbst Profikameras haben echte Probleme damit, den Effekt wirklichkeitsgetreu widerzugeben. Alle Bilder in diesem Blogartikel, und auch die meisten Bilder online, sind zwangsweise digital bearbeitet, denn kein Bild aus einer Kamera fängt wirklich das ein, was man mit dem bloßen Auge sieht.
Entsprechend sind die Bilder in diesem Artikel alle angepasst, um einen möglichst naturnahen Eindruck zu vermitteln. Andere Bilder, die man im Internet findet, sind manchmal etwas zu… optimistisch, und zeigen übertrieben Farben und Kontraste.
Dass man die Bilder bearbeiten „muss“ liegt vor allem daran, dass der Effekt nur unter bestimmten Bedingungen gut sichtbar ist, und die eigenen Augen viel besser darin sind ihn zu sehen als die meisten Kameras. Der metallische Schimmereffekt hängt meistens von dem Winkel zwischen dem einfallenden Licht und dem Betrachter ab. Umso kleiner umso besser.
Da das etwas abstrakt ist, hier eine erklärende Grafik:
Bei direktem Licht, zum Beispiel bei unbewölktem Himmel oder unter einer Lampe ist der Effekt aus den allermeisten Blickwinkeln überhaupt nicht sichtbar. Nur wenn der Winkel zwischen Lichtquelle und Beobachter gering ist (meistens 15° zur Blattoberfläche oder weniger) sieht man das metallische Schimmern.
Dort, wo diese Pflanzen in der Natur wachsen, nämlich im Unterwuchs von Regenwäldern, ist das Licht allerdings nicht direkt, sondern sehr diffus. Es kommt fast gleichmäßig aus allen Richtungen.
Hier ist die Irideszenz für das Auge gut sichtbar aber Kameras haben hier Probleme, da sie bei wenig Licht einen geringeren Dynamikumfang als menschliche Augen haben. Was für mein Auge an einem bewölkten Tag eine knallblaue und wunderschön schimmernde Pflanze ist, ist für die meisten Kameras grünlich grau.
Der Weg dieses Problem zu „lösen“ ist einfach: Wenn man dann mit einer Kamera ein Foto mit Blitz macht, welcher das Umgebungslicht überstrahlt, ist der Winkel sehr klein (oft unter 5°) und der Effekt entsprechend stark. Viel stärker als bei der Betrachtung unter normalem Licht!
So entstehen auch die meisten Bilder dieser Pflanzen, und falsche Vorstellungen von ihren Farben. Man kann einen so starken Effekt tatsächlich auch mit dem bloßen Auge sehen. Dafür muss man nur diese Lichtsituation imitieren, z.B. einfach dadurch, dass man sich die Pflanzen nachts unter dem Licht einer Stirnlampe anschaut.
Begonia pavonina ‚Cyan Form‘, nachts under dem Licht einer Stirnlampe gefilmt. Hier wird die Irideszenz besonders deutlich. So intensiv würde man dies unter natürlichem Licht nie sehen!
Begonia sizemoreae, nachts under dem Licht einer Stirnlampe gefilmt. Die Irideszenz zeigt starke Winkelabhängigkeit.
Nicht bei allen irisierenden Pflanzen ist ihre Farbe aber so abhängig vom Winkel zwischen Licht und Beobachter. Dazu später mehr.
Auch beruht nicht jeder blaue Glanz bei Pflanzen auf Irideszenz. Einige Pflanzen haben einfach sehr stark glänzende und reflektierende Blätter, welche besonders bei wenig Licht und unter bewölktem Himmel sehr blau wirken, da sie einfach das bläuliche Umgebungslicht reflektieren.
Piper sp. aus Costa Rica mit stark glänzenden Blättern, welche hauptsächlich den Himmel reflektieren und sie blau erscheinen lassen.
Zusammenfassend: Ja, diese Pflanzen sind wirklich blau. Und nicht nur leicht bläulich, sondern, je nach Art, wirklich satt türkis, blau oder lila. Allerdings nur aus einem kleinen Betrachtungswinkel und mit dem richtigen Licht.
Leider ist es sehr frustrierend diesen Effekt mit einer Kamera einzufangen, was dazu führt, dass er in Bildern oft übertrieben dargestellt wird, und auch versucht wird as absolute Maximum an Irideszenz zu zeigen, meistens durch Aufnahmen im dunkeln und mit Blitzlicht.
3. Wie funktioniert dieser Effekt?
So, jetzt kommen wir (endlich) zu den Kernfragen dieses Posts:
1. Woher kommt die Farbe?
2. Warum sind diese Pflanzen blau?
Die Antworten auf diese beiden Fragen sind tatsächlich noch (Stand Oktober 2021) nicht abschließend geklärt, oder zumindest umstritten.
Aber langsam, erstmal die gesicherten Fakten!
Die Irideszenz stammt nicht von Pigmenten. Es befindet sich in keinem dieser Blätter irgendwo ein blauer Farbstoff. Stattdessen handelt es sich um eine sogenannte strukturelle Farbe. Dies sind Farben, die entstehen, wenn Licht auf Nanostrukturen trifft, die so klein sind, dass sie mit den Wellenlängen sichtbaren Lichts interagieren.
Diese Strukturen müssen nicht unbedingt eine besondere Form haben, es können Rillen, Löcher, Spiralen oder anderes sein. Wichtig ist, dass sie die richtige Größe haben um einen großen Teil der Wellenlängen zu zerstreuen (destruktive Interferenz), und nur einige wenige, bestimmte Wellenlängen zu bündeln (konstruktive Interferenz).
Meine Wortwahl hier ist absichtlich ziemlich vage, denn der Mechanismus der Irideszenz ist physikalisch äußerst kompliziert und für mich als Nicht-Physiker nicht zu durchblicken.
Ein paar Beispiele für blaue Irideszenz bei verschiedenen Pflanzen, welche durch unterschiedliche Strukturen verursacht wird:
Selaginella willdenowii und Selaginella uncinata
Selaginella willdenowii und Selaginella uncinata, Moosfarne (Selaginellaceae). Ihre starke blaue Farbe wird durch Interferenz an zwei dünnen Schichten (Lamellen) in der Epidermis, welche das Licht brechen, verursacht.
Mikroskopische Aufnahmen von Selaginella-Blättern. Aus Hébant und Lee (1986), verändert.
(1) Querschnitt durch die äußere Zellwand der oberen Epidermis eines blauen Blattes von S. willdenowii im Transmissionselektronenmikroskop (TEM), die beiden Lamellen sind durch Pfeile gekennzeichnet.
(2) TEM-Aufnahme von S. uncinata; Querschnitt durch die äußere Zellwand der oberen Epidermis eines eines blauen Blattes; die beiden Lamellen sind durch Pfeile gekennzeichnet.
Trichomanes elegans
Bild 1: „IMG_3620 Trichomanes elegans“ von Clivid auf Flickr.
Attribution-NoDerivs 2.0 Generic (CC BY-ND 2.0)
Bild 2: „IMG_3544 Trichomanes elegans“ von Clivid auf Flickr.
Attribution-NoDerivs 2.0 Generic (CC BY-ND 2.0)
Bild 3: „Helecho azul“ von Corantioquia auf Flickr.
Creative Commons Attribution-NonCommercial-ShareAlike 2.0
Trichomanes elegans, ein Schleierfarn (Hymenophyllaceae). Seine blaugrüne Färbung wird durch die bemerkenswert gleichmäßige Dicke und Anordnung der Grana in spezialisierten Chloroplasten, welche an der Unterseite der Epidermis anliegen, verursacht.
Ultrastruktur eines Chloroplasts von Trichomanes elegans im TEM. Aus Graham, Lee und Norstog (1993), verändert. Querschnitt eines Blattes, mit an der adaxialen Wand angehefteten Chloroplasten. Im Chloroplasten sind eng gestapelte Thylakoidmembranen zu sehen.
Danaea nodosa
Bild: Danaea nodosa 1a von Scott Zona auf Flickr.
Attribution-NonCommercial 2.0 Generic (CC BY-NC 2.0)
Danaea nodosa, ein Farn aus der urtümlichen Familie der Marattiaceae. Sein blauer Schimmer stammt von gedrehten Zellulosefasern, welche in dichten Schichten übereinander liegen.
Adaxiale Epidermis Wand mit zugehörigem Chloroplasten, aus jungem Blatt von Danaea nodosa im TEM. Aus Graham, Lee und Norstog (1993) verändert.
(3), (4) Querschnitt eines Blattes, mit an der adaxialen Wand angehefteten Chloroplasten. Im Chloroplasten sind eng gestapelte Thylakoidmembranen zu sehen.
Begonia pavonina
Begonia pavonina, die wahrscheinlich bekannteste blau irisierende Pflanze. Ihr blauer Schimmer wird durch dicht angeordnete Stapel von sogenannten Thylakoidmembranen verursacht. Diese befinden sich dicht gepackt in stark modifizierten Chloroplasten, die „Iridoplasten“ getauft wurden.
Anatomie und Ultrastruktur der blau schillernden Blätter von Begonia pavonina. Aus Gould und Lee (1996), verändert.
(11) Lichtmikroskopische Aufnahmen von Querschnitten, die Iridoplasten in der adaxialen Epidermis zeigen (Pfeilspitzen). Balken = 50 µm.
(12) Elektronenmikroskopische Aufnahmen von Schnitten durch Iridoplasten, die Thylakoide zeigen. Balken = 0,5 µm
Phyllagathis rotundifolia
Phyllagathis rotundifolia, ein Schwarzmundgewächs (Melastomataceae). Mein persönlicher Favorit! Eine der größten aller irisierenden Pflanzen. Ein einzelnes Blatt kann bis zu 50 cm lang und breit werden! Sie bekommt ihre blaue Färbung ebenfalls durch Iridoplasten, aber auch durch den starken Glanz ihrer Blätter erscheint sie blau, ähnlich wie der Piper weiter oben in diesem Post.
Anatomie und Ultrastruktur der blau schillernden Blätter von Phyllagathis rotundifolia. Aus Gould und Lee (1996), verändert.
(7) Lichtmikroskopische Aufnahmen von Querschnitten, die Iridoplasten in der adaxialen Epidermis zeigen (Pfeilspitzen). Balken = 50 µm.
(8), (9) Elektronenmikroskopische Aufnahmen von Schnitten durch Iridoplasten, die Thylakoide zeigen. Balken = 0,5 µm bzw. 0,25 µm.
Unser Wissen über diese Strukturen ist auf relativ wenige Studien an einer kleinen Anzahl von Arten beschränkt, und es ist durchaus möglich, dass weitere, neuartige Mechanismen existieren. In meiner Sammlung sind mehrere Pflanzen, bei denen noch nie untersucht wurde, wie sie ihre Irideszenz produzieren, und die Eigenschaften zeigen, die darauf hindeuten, dass hier andere als die bekannten Mechanismen am Werk sind.
Anders herum gibt es auch Pflanzen, die diese Strukturen besitzen, aber keine sichtbare Irideszenz haben. Beispielsweise haben ziemlich viele Pflanzen die helikoidalen Zellulosefasern wie Danaea nodosa, zeigen aber überhaupt keine Irideszenz.
Es scheinen auch alle Begonien Iridoplasten zu bilden, selbst solche, die für das Auge überhaupt keine Irideszenz haben.
Begonienblätter von irisierenden (B. pavonina) und nicht irisierenden (B. polygonoides) Arten, beobachtet unter dem Mikroskop mit Epi-Beleuchtung (linke Spalte) und dem Konfokalen Laser-Rastermikroskope (CLSM) (rechte Spalte).
Die Pfeilspitzen zeigen lebhafte farbige Iridoplasten als blaue Flecken in den Epidermiszellen an. Striche kennzeichnen die Ränder einzelner Epidermiszellen, die künstlich blau gefärbte Iridoplasten in den Zellen aufweisen. Balken in den Stereomikroskopen = 100 μm. Balken in CLSM-Aufnahmen = 10 μm.
Aus Phrathep (2020), verändert.
5. Warum?
In den Beispielen sieht man, wie viel Aufwand diese Pflanzen betreiben müssen, um diese höchst geordneten Strukturen zu produzieren. Aber warum eigentlich? Diese Frage war für lange Zeit ungeklärt, und ist auch immer noch umstritten! Der erste Gedanke wäre ja, dass die Farbe selbst eine Funktion hat. Das wäre auch gar nicht mal so ungewöhnlich. Strukturelle Farben sind in der Natur weit verbreitet.
Bei Tieren (man denke nur an die Prachtfedern von männlichen Pfauen oder die blauen Flügel von Morpho Faltern) dienen sie fast immer dazu, besonders aufzufallen, um zum Beispiel Partner anzulocken. Fast jedes blaue Tier ist nicht durch Pigmente, sondern durch strukturelle Farbe blau.
Auch bei Pflanzen gibt es Beispiele für strukturelle Farben, die auffällig sein sollen.
Die ganz normalen Butterblumen (Ranunculus spp.) benutzen zum Beispiel Interferenz an dünnen Schichten (derselbe Mechanismus wie bei Selaginella) um ihre gelben Blüten noch gelber und auffälliger zu machen.
Es gibt auch Beispiele für Pflanzen, die blaue Irideszenz nutzen, um aufzufallen. Die Früchte einiger Pflanzenarten nutzen Irideszenz um eine sehr auffällige, blaue Farbe zu produzieren. Als Mechanismus dafür dienen, bei den meisten bisher untersuchten Beispielen, helikoidale Zellulosefasern, wie bei Danaea nodosa.
Die Pflanzen, um die es in diesem Artikel geht haben allerdings keine blauen Blüten oder Früchte, sondern Blätter. Bei Blüten und Früchten macht es für eine Pflanze Sinn aufzufallen, sie möchte schließlich einerseits Bestäuber für ihre Blüten, andererseits Verbreiter für ihre Früchte (bzw. Samen) anlocken. Bei Blättern aber macht es keinen Sinn auffallen zu wollen. Eher sogar das Gegenteil. Für Herbivoren auffällige Blätter möchte eigentlich keine Pflanze!
Aus diesem Grund nimmt man auch an, dass die doch sehr auffällige blaue Färbung ein ungewollter Nebeneffekt ist und die eigentliche Funktion der Strukturen, die diesen Effekt verursachen, eine andere. Und es muss eine ziemlich vorteilhafte Funktion sein, um die doch sehr auffällige Färbung lohnenswert zu machen!
Was diese blauen Pflanzen (fast!) alle gemeinsam haben, ist ihr Lebensraum: Sie wachsen im sehr schattigen Unterwuchs tropischer Regenwälder.
Dort kommt sehr, sehr wenig Licht an. Die Kronen der Bäume filtern etwa 99,7% bis 99,9% des Sonnenlichts, bevor es auf dem Urwaldboden ankommt (Björkman und Ludlow, 1984). Es wurde schon lange vermutet, dass die mit dem Licht interagierenden Nanostrukturen in diesen Unterwuchspflanzen irgendeine Rolle beim Einfangen oder Bündeln dieses spärlichen Lichts haben.
Schon 1984 haben Hébant und Lee gezeigt, dass die Strukturen, und damit die blaue Färbung bei Selaginella uncinata nur dann ausgebildet wird, wenn sie schwaches Licht bekommt, und dieses Licht dem Spektrum von Licht am Urwaldboden entspricht (Für die Experten: 12 μmol·m-2·s-1 mit R:FR von 0,35).
Auch wurde gezeigt, dass die Ausbildung dieser Strukturen in beide Richtungen möglich ist (nicht blaue Exemplare werden blau, und blaue Exemplare verlieren ihre Farbe), und bei derselben Pflanze reversibel ist.
Das habe ich auch bei vielen meiner eigenen Pflanzen schon beobachtet: Bei viel Licht verschwindet die Färbung; bei wenig Licht, und dem richtigen Spektrum, taucht sie wieder auf. Die Umfärbung dauert etwa zwei bis vier Wochen. Es ist auch möglich sowohl irisierende als auch nicht irisierende Blätter an derselben Pflanze zu haben, je nachdem wie viel Licht diese abbekommen. Sogar innerhalb eines Blattes kann es Unterschiede geben!
Es scheint also klar zu sein: Diese Nanostrukturen helfen der Pflanze in irgendeiner Weise mit sehr wenig Licht klar zu kommen.
Wie genau diese Strukturen funktioniren, und welchen Nutzen sie haben wurde erst 2016 von Jacobs et al. anhand der Iridoplasten einiger Begonien gezeigt.
Laut den Autoren fördern diese Strukturen die Effizienz der Photosynthese! Sie tun das auf zweierlei Weise: Zum einen durch verbesserten Lichteinfang bei den überwiegend grünen Wellenlängen, die im Schatten zur Verfügung stehen, und zum anderen durch direkte Steigerung der Quantenausbeute um 5-10 % bei schwachem Licht.
Hört sich absolut verrückt an. Ist es auch.
Die Iridoplasten mit ihren regelmäßig angeordneten Membranen bilden einen sogenannten photonischen Kristall. Photonische Kristalle können die Absorption von Licht stark verstärken oder verringern, indem sie das Licht bestimmter Wellenlängen stark verlangsamen (Ja, das geht, Lichtgeschwindigkeit ist nur im Vakuum konstant!) und in stehenden Wellen konzentieren.
Dieses abgebremste Licht (eng. „slow light“) wird im photonischen Kristall praktisch „eingefangen“ und konzentriert zu den Chloroplasten weitergeleitet. Die Thylakoidmembranen in den Iridoplasten sind genau im richten Abstand angeordnet, um grünes und rotes Licht einzufangen. Genau das, was hauptsächlich unten am Waldboden ankommt.
Dieses Einfangen machen sie auch aus einem relativ großen Winkel von 30°, viel größer als der 15° Winkel, in dem sie das blaue Licht zurückwerfen. Das scheint zu beweisen, dass die blaue Irideszenz also, wie schon vermutet, eigentlich nur ein Nebeneffekt ist.
Eine verstärkte Absorption im grünen Bereich des Spektrums dient dazu Restlicht am Waldboden effektiver abzufangen. Und ja, Pflanzen nutzen auch grünes Licht noch recht effektiv für die Photosynthese! Es ist ein Mythos, dass grünes Licht für die Photosynthese komplett nutzlos sein soll.
Das Reflektieren von blauem Licht ist wohl kein großer Nachteil, im Vergleich zur stärkeren Absorption von Grün und Rot, wenn man bedenkt, dass blaue Wellenlängen am Waldboden eh nur in sehr geringen Mengen vorhanden sind.
Eine sehr faszinierende und auch erstmal überzeugende Erklärung für das hübsche Aussehen unsere Pflanzen, aber (und es gibt immer ein aber) diese Studie hat nur die Strukturen in Begonien untersucht. Andere Pflanzen, mit anderen Mechanismen, die Irideszenz erzeugen wurden nicht untersucht. Vielleicht haben diese Strukturen bei diesen Pflanzen die selbe Funktion, wie die Iridoplasten der Begonien, vielleicht aber auch nicht.
Hier sind ein paar Beispiele für Pflanzen, die wahrscheinlich einen noch unbekannten Mechanismus für Irideszenz benutzen und/oder deren Irideszenz wahrscheinlich eine andere Funktion hat, als die oben beschriebene:
Microsorum thailandicum
Microsorum thailandicum, ein Tüpfelfarngewächs, und die Pflanze in meiner Sammlung mit dem absoluten intensivsten Blauton, zeigt keinerlei Winkelabhängikeit. Die Blätter sind aus jeder Richtung blau, und sie mit einer Kamera mit Blitz zu fotografieren macht sie auf den Bildern eher weniger blau.
Ob hier der oben beschriebene Mechanismus für die blaue Farbe verantwortlich sein kann ist zweifelhaft.
Microsorum siamense
Microsorum siamense ist zwar nicht so intensive blau wie ihre nahe Verwandte oben drüber, zeigt aber den gleichen Effekt. Blitzlicht oder ein bestimmter Winkel sind zum Erscheinen der Irideszenz nicht notwendig.
Ein weiterer Unterschied: Bei vielen irisierenden Pflanzen (vor allem Selaginella) verschwindet ihr Schimmer teilweise oder vollständig, wenn die Blätter nass werden. Das ist bei diesen Farnen nicht so, die Blätter sind auch in feuchtem Zustand noch blau.
Begonia sp. 'Temuyuk'
Diese noch nicht wissenschaftlich beschriebene Begonie zeigt den selben Effekt, wie die beiden gezeigten Microsorum. Ihre Irideszenz ist sehr schwer festzuhalten, da die Blätter stark glänzen, was den dunklen Blauton überdeckt.
Genau wie bei Microsorum ist die Farbe hier nicht abhängig von Winkel und wird auch nicht durch Wasser auf dem Blättern verringert.
Das ist insofern interessant, als das die oben erwähnte Erklärung sich spezifisch auf Begonien bezogen hat, es aber anscheindend mindestens eine Begonie gibt, die einen anderen Mechanismus verwendet um blau zu erscheinen. Sind hier anders gestaltete Iridoplasten verantwortlich, oder ein ganz anderer Mechanismus? Und ist sie ebenfalls blau um mehr Licht einzufangen oder hat ihre Farbe eine ander Funktion? Wir wissen es nicht.
Bulbophyllum cruzi
Diese Miniaturorchidee aus der Großgattung Bulbophyllum zeigt ebenfalls einen ähnlichen Effekt wie Microsorum. Der blau Glanz lässt sich aus fast jedem Winkel sehen, und wird nicht durch Wasser auf den Blättern verringert.
Masdevallia caesia
Masdevallia caesia, eine Hochlandorchidee, prägt eine ziemlich starke Irideszenz aus, allerdings nur in (relativ) intensivem Licht. Bei wenig Licht bleibt sie grün!
Ihre Irideszenz ist also genau gegenteilig zu dem, was man bei Schattenpflanzen findet, welche ihren blauen Schimmer ja in starkem Licht verlieren. Auch die Erklärung, dass der blaue Farbton ein Nebeneffekt ist, und die Nanostrukturen, die ihn erzeugen dazu dienen schwaches Restlicht einzufangen, kann hier nicht stimmen.
Eine mögliche Erklärung wäre, dass hier tatsächliche das Reflektieren von blauem Licht die Hauptfunktion ist, als Schutz vor zu intensiver Strahlung.
Absurderweise ist ihre Irideszenz stärker ausgeprägt, wenn die Blätter nass sind.
Stegolepis hitchcockii
Stegolepis hitchcockii, eine nah mit Süßgräsern verwandte Pflanze wächst nur auf dem höchsten Berg Brasiliens, dem Pico da Neblina, in absolut intensivem, strahlenden Licht…und hat trotzdem eine sehr starke blaue Irideszenz.
Sie nutzt ihren Schimmer vielleicht ähnlich wie M. caesia, als Sonnenschutz.
Gut, das waren erst einmal genug Beispiele für Pflanzen, die sich möglicherweise anderer Mechanismen für Irideszenz bedienen, oder die ihre Irideszenz anders nutzen, als bislang bekannt
Dass viele Pflanzen, vor allem Begonien ihre Iridoplasten nutzen, um als Schattenpflanzen mehr Licht einfangen ist natürlich unumstritten. Auch die anderen gezeigten Strukturen bei diversen Arten, welche diese Schattenpflanzen blau erscheinen lassen, haben höchstwahrscheinlich eine ähnliche oder sogar die selbe Funktion wie bei den von Jacobs et al. untersuchten Begonien.
Wie wir aber gerade gesehen haben gibt es anscheinend noch einige weitere Mechanismen bei Pflanzen um Irideszenz zu erzeugen. Diese funktionieren aber anscheinend auf der Nanoebene anders, als die bekannten Beispiele. Zumindest bei Microsorum thailandicum ist bekannt, dass für die sehr intensive blaue Farbe eine bekannte Struktur, und zwar helikoidale Zellulose ursächlich ist (Steiner et al. 2018).
Was wir auch geshen haben ist, dass Irideszenz höchstwahrscheinlich nicht bei allen Pflanzen die selbe Funktion hat. Bei einigen Beispielen scheint tatsächlich die blau reflektierende Färbung selbst die Funktion zu sein, und nicht nur ein ungewollter Nebeneffekt. Hier dient der blaue Glanz möglicherweise als Sonnenschutz in Habitaten mit intensivem Licht.
Eine weitere mögliche Funktion der Irideszenz ist das Verwirren von Herbivoren. Es wurde gezeigt, dass Hummeln Probleme damit haben stark irisierende Objekte zu erkennen. Irideszenz könnte also eine schützende Wirkung haben. Auf das menschliche Auge wirkt die blaue Färbung natürlich sehr auffällig (deshalb sammele ich diese Pflanzen ja!), aber für die oft komplett anders strukturierten visuellen Systeme anderer Tiere könnten diese Pflanzen sehr anders aussehen als für uns!
Man sollte auch nicht vergessen, dass es durchaus möglich ist, dass Irideszenz mehrere Funktionen gleichzeitig erfüllt. Sogar anscheinend widersprüchliche Funktionen wie das einfangen von schwachem grünen Licht im tiefen Schatten und das reflektieren von blauem Licht in gleißender Sonne könnten in ein und der selben Pflanze von Vorteil sein.
So vermuten zumindest Glover und Whitney (2010). Sie argumentieren, dass Pflanzen, die an schwache Lichtverhältnisse angepasst sind durch Sonnenflecken, die durch das Blätterdach scheinen, in kürzester Zeit geschädigt werden könnten. Diese Vermutung wurde zwar geäußert, bevor bekannt wurde, dass zumindest bei einigen Begonien eine Funktion zum einfangen von extra Licht besteht, aber es ergibt durchaus trotzdem Sinn. Diese unscheinbaren Flecken sind 100 bis 10,000 mal heller sind als das, was diese Schattenpflanzen normalerweise ausgesetzt sind und an was sie angepasst sind. Es könnte also gut sein, dass die Irideszenz in der selben Pflanze sowohl vor zu viel Sonne schützt, als auch bei wenig Sonne hilft (bzw. die Nanostrukturen helfen, bei wenig Licht ist der Glanz ja nur Nebeneffekt).
Steiner et al. spekulieren, dass der blaue Glanz von Microsorum thailandicum diese Doppelfunktion erfüllt, und Phrathep (2020) vermutet, dass dies auch bei Begonien zutreffen könnte.
Wie so oft in der Biologie wird es höchstwahrscheinlich darauf hinauslaufen, dass es keine einzige Erklärung gibt, sondern viele Gründe und viele Mechanismen hinter dem Phänomen der irisierenden Blätter stecken. Es gibt hier noch mehr als genug ungeklärte Fragen und sicher auch viele spannende Details um die Forschung noch viele Jahre lang zu beschäftigen.
Falls dieser Blog bei euch jetzt auch das Interesse, oder sogar Begeisterung, für diese wirklich tolle und vielfältige Gruppe von Pflanzen geweckt hat: Schaut gerne mal in unserem Shop vorbei.
Wir haben regelmäßig verschiedene irisierende Pflanzen im Angebot, und erweitern unser Sortiment auch ständig. Mit über 30 Arten (davon leider noch nicht alle im Shop) haben wir jetzt schon die wahrscheinlich größte Auswahl an schimmernden botanischen Schönheiten in ganz Europa!
Und zu guter letzt noch eine kleine Galerie mit Bildern weiterer irisierender Pflanzen, die ich nicht im Text untergebracht bekommen habe :)
(1) – (4) Begonia metallicolor
(5) Begonia dinhdui
(6) Begonia ‚Silver Lace‘
(7) Begonia sizemoreae
(8) Ranke aus Costa Rica mit Irideszenz
(9) Begonia ‚Black Knight‘
Alle Bilder in diesem Beitrag, sofern nicht anderweitig angegeben, sowie Beitragstext: © Alexander Ruppert